„DAS WAR´S.
Wir sind alle 4 gesund und am Leben.
Wir sind nicht mal nass geworden.
Wenn die Versicherung uns das Geld
erstattet nehme ich meine Kinder und meinen Mann, wir verlassen
Norwegen und gehen nach Deutschland zurück. Dort mache ich mich
selbständig, kaufe ein Haus und die Kinder gehen in eine normale
Schule...“
Einige Stunden zuvor war unser Schiff gesunken. Innerhalb von 30 Minuten lief es voll. Jetzt lag ich auf
dem Bett in irgendeinem Hotel, in das man mich und die Kinder
gebracht hatte, starrte an die Decke und dachte nach.
Thomas und ich hatten am 25.04.2014
morgens gegen halb sechs abgelegt und waren mit unserer Feeling 486
aus dem Hafen von Vieste/Italien motort. Wir wollten nach nach Bari /Brindisi/raus aus der Adria. Der Himmel war leicht
bedeckt und wir hatten 15 Knoten Wind aus nördlicher Richtung.
Die Kinder (zu dem Zeitpunkt 2 und 4
Jahre alt) schliefen noch in der Backbord-seitigen Achterkabine,
Thomas und ich befanden uns im Cockpit.
Als wir gerade aus dem inneren Bereich
des Hafens raus waren, fuhr Thomas ein bisschen mehr nach rechts, um
einem einheimischen Fischer beim Einlaufen aus dem Weg zu gehen.
Plötzlich gab es ein sehr lautes
Scharren und Krachen. Wir hatten Grundberührung.
Es hörte sich an, als wären wir auf
einen Fels gefahren. Es war aber wohl nur Sand – in der
Hafenausfahrt. Wir haben versucht uns frei zu fahren, aber nichts
half.
Nach einer gefühlten Ewigkeit – im
Nachhinein betrachtet waren es wohl nur 2 oder 3 Minuten – ging ich
runter, um die Kinder vorsichtshalber ins Cockpit zu holen. Als ich
unten ankam, stand ich knöcheltief im Wasser. Auf dem Weg nach unten
hatte ich gebrüllt: „Aufwachen, aufwachen, ihr müsst hier raus!“,
so dass mir Mathis (4) schon entgegen kam und dann auch selbstständig
den Niedergang hochkletterte. Währenddessen suchte ich meine
Tochter. Emma (2) schlief immer noch und hatte sich über Nacht ganz
hinten in die letzte Ecke gerobbt. Ich musste sie unter einem Wust
aus Decken und Kissen ertasten. Irgendwann erwischte ich einen ihrer
Füße, an dem ich sie aus dem Bett zog. Sie war verständlicherweise
schockiert und weinte, als ich sie nach oben trug.
Die Kinder setzte ich auf die
Steuerbordbank im Cockpit und schärfte ihnen ein ja nicht dort weg
zu gehen. Sie weinten beide fürchterlich, aber dieses eine Mal
hörten sie auf mich.
Thomas sagte: „Guck mal, der Fischer
ist noch da drüben. Vielleicht kommt er uns zur Hilfe.“
Ich habe nur, wie durch einen Schleier,
das Fischerboot gesehen, mit einem Mann darauf, der dort stand,
glotzte und nichts weiter tat. Daraufhin informierte ich Thomas, dass
ich jetzt die Rettungsinsel rausholen würde.
Für die Rettungsinsel gab es ein
relativ leicht zu öffnendes Fach, gleich neben der Badeplattform.
Die Leine zur Insel war ordnungsgemäß am Schiff festgemacht. Der
Container, in dem sie sich befand, dümpelte dann im ein Meter hohen
Schwell herum, ohne aufzugehen. Also zog ich an der Leine – 9 Meter
können sehr, sehr lang sein! Es dauerte ewig bis die Insel auf
poppte. Der Versuch die Rettungsinsel näher ans Schiff heran zu
ziehen scheiterte kläglich, so dass ich den Abstand zwischen Schiff
und Insel nur etwas verkürzen konnte, indem ich den Rest der Leine
an der Reling festknotete.
Glücklicherweise hatte ich vorab
darauf bestanden eine Rettungsinsel zu kaufen – und zwar die Beste.
Viking RescYou Pro (für 6 Pers.) - die ist perfekt! Ich würde nie
eine andere kaufen.
Inzwischen waren Mathis und Emma echt
in Panik. Sie haben geweint und geschrien. Das Schiff hatte wohl
vorübergehend Schlagseite nach Backbord bekommen, so dass Wasser
überkam. Das machte ihnen wirklich Angst. Die Erinnerung daran ist
sehr wage. Ich befand mich in einer Wolke aus Watte, die alles
ausblendete, was mich handlungsunfähig gemacht hätte. Sonst hätte
ich wohl meine Kinder in die Arme genommen und gewartet bis uns
jemand rettet. So aber konnte ich mit Thomas klären, wie wir von
Bord gehen. Mein Überlebensinstinkt, der sich auf meine ganze
Familie erstreckt, funktioniert also ausgezeichnet.
Die Rettungsinsel wurde in der
Zwischenzeit vom Schwell an die Steuerbordseite des Schiffs
geschwemmt. Wir hatten abgemacht, dass erst ich auf die Rettungsinsel
wechsle, so dass Thomas mir Mathis und Emma herüberreichen konnte.
Keine Ahnung wie ich auf die Insel kam,
aber als ich versuchte die Schwell abgewandte Seite der Insel zu
schließen, damit uns nicht eines der Kinder auf der einen Seite rein
und auf der anderen Seite gleich wieder raus fällt, kam mir endlich
der Gedanke, dass die Beiden immer noch keine Rettungswesten
anhatten!
„Zieh den Kindern die Rettungswesten
an, bevor du sie mir rüber gibst!“
„Ich gebe sie dir schnell so.“
Das ging gar nicht! Was, wenn uns eines
aus den Händen rutscht? Selbst ohne diesen hohen Schwell wären sie
verloren. Sie waren beide zu klein, zu schwach und konnten nicht
schwimmen. Selbst wenn, wir würden sie nie wieder finden... Sie
wären tot.
„NEIN, DU ZIEHST DENEN RETTUNGSWESTEN
AN, BEVOR DU SIE MIR GIBST! Und dann reichst du mir erst die Leinen
und wartest, bis ich mir die ums Handgelenk gewickelt habe, bevor du
das Kind loslässt!“
Ich war wohl bestimmt genug in diesem
Punkt. Es bedurfte jedenfalls keiner weiteren Diskussion.
Wir hatten an den Kinderrettungswesten
Fenderleinen mit Karabinerhaken befestigt, damit sich die Kinder an
Bord einpicken konnten. Diese Leinen wickelte ich mir nun ums
Handgelenk während ich mich mit dem anderen Arm am „Überrollbügel“
der Insel festhielt. Durch die Wellen schlug die Insel recht heftig,
und obwohl der „Überrollbügel“ nur ein dicker, aufgepumpter
Gummischlauch war, knickte er nicht ein Mal ein. Ich konnte mich
daran festhalten, wie an einem Stahlgestänge. So kamen Mathis und
Emma gesund und trockenen Fußes auf die Rettungsinsel. Beide hatten
immer noch Angst, waren aber nicht mehr so panisch. Ich trug Mathis
auf auf Emma aufzupassen. Er nahm sie auf seinen Schoß und beide
beruhigten sich etwas. Sie weinten und schrien nicht mehr.
Nachdem wir drei an Bord der
Rettungsinsel waren sagte Thomas, er komme gleich wieder und
verschwand unter Deck. Das war etwas beängstigend, schließlich
hätte das Schiff umschlagen können. Er versuchte trockene Kleidung
für die Kinder zu holen und diverse Geräte zu retten.
Als Thomas unter Deck ankam, stand ihm
das Wasser schon bis zur Hüfte.
An trockenen Kinderklamotten hat er
leider nur Unterwäsche erwischen können. Die Telefone, iPads und
der Laptop waren aber erst mal im Trockenen. Nun kam auch Thomas
irgendwie auf die Insel. Das Wasser, dass er von unter Deck
„mitgebracht“ hatte, beschädigte nun die Geräte teilweise und
Mathis saß mit seinem Schlafanzug im Nassen. Als Thomas und ich
endlich das Messer gefunden hatten, das zum Leine durchschneiden am
Ausgang befestigt war und Thomas uns damit vom Schiff löste,
zitterte Mathis schon vor Kälte (und durch den Schock nehme ich an).
Ich nahm also Emma auf den Schoß unter meine Jacke und Thomas nahm
Mathis auf die gleiche Weise.
Der Schwell spülte uns derweil über
die Sandbank direkt auf die wartende Küstenwache zu.
Die Küstenwache ist direkt im Hafen
von Vieste stationiert.Wie wir später erfuhren hatte ein Passant,
der so früh schon auf der Küstenstraße unterwegs war, das Unglück
gesehen und geistesgegenwärtig die Küstenwache alarmiert. Die ist
dann mit dem größten zur Verfügung stehenden Schiff ausgelaufen.
Als sie aus der Hafenausfahrt kamen und uns sahen, sind sie gleich
wieder umgedreht. Kurz darauf kamen sie mit einem viel kleineren Boot
wieder zurück, um die vorgelagerte Insel zu umrunden und auf der
anderen Seite der Sandbank auf uns zu warten.
Auf dem Boot der Küstenwache ging es
den Kindern schon wieder recht gut. Emma konnte ja noch nicht
wirklich sprechen, kuschelte sich aber an mich und guckte recht
interessiert. Mathis hatte Fragen über das Boot der Küstenwache und
darüber, warum die Rettungsinsel auf diese und nicht auf jene Weise
geschleppt wurde. Ich dachte die ganze Fahrt zum Hafen immer wieder:
„Wir sind alle am Leben, gesund und zusammen. Alles wird gut.“
An Land wurde uns ein Fahrer gestellt,
der die Kinder und mich ins Viester Krankenhaus fuhr. Thomas musste
zum Verhör bei der Küstenwache. Da dort alle ausschließlich
italienisch sprachen musste erst mal ein Dolmetscher her. Das gab
Thomas Zeit, um die Versicherung anzurufen und die Bergung des
Schiffes in die Wege zu leiten.
Das Dolmetschen übernahm schließlich
Katarina, die Besitzerin eines Hafenrestaurants und eines Anlegestegs
im Hafen und Stützpunktleiterin von Transocean. Außerdem
heimgekehrte italienischstämmige Kanadierin, die also beide Sprachen
– italienisch und englisch – muttersprachlich sprechen kann.
Katarina ist sehr kompetent! Wenn ihr nach Vieste kommen solltet:
Geht bei ihr essen, legt euer Schiff an
ihren Steg und lasst euch von ihr beraten, wenn ihr Hilfe braucht.
Thomas wurde in einem anderthalb
tägigen Verhör unter anderem gefragt, ob er auch so wäre wie
Francesco Schettino. Wer? Der Kapitän der Costa Concordia. Aha?
Nun, die eigentliche Frage war, ob er
als letzter von Bord gegangen war. Thomas war als Skipper angegeben
und musste somit als letzter von Bord gehen. Gut, dass die Kinder
noch so klein und leicht waren. Sonst hätte es durchaus sein können,
dass Thomas als erster von Bord gegangen wäre. In dem Moment haben
wir nicht über so etwas nachgedacht. Glück gehabt...
Wir anderen drei sind in der
Notaufnahme des winzigen Viester Krankenhauses in einen Raum mit zwei
Betten gekommen. Dort musste ich mich jetzt doch mal hinlegen. Das
ging aber nicht sehr lange. Emma hatte zunächst gefroren und wurde,
in „Goldfolie“ und Decken eingepackt, auf das andere Bett gelegt.
Mathis hatte keine Lust zu liegen und spazierte umher, um das Zimmer
zu inspizieren. Emma wurde es langweilig und sie begann sich auch für
die Umgebung zu interessieren. Sie rollte in ihrem Krankenbett (ohne
hochgestellte Seitenteile) herum und begann sich aus den Decken zu
schälen. Obwohl mir inzwischen etwas flau im Magen war, stand ich
auf, um Emma auf den Boden zu stellen. Nicht, dass sich das Kind nach
geglückter Rettung nun doch noch den Kopf aufgeschlagen hätte oder
schlimmeres...
Jetzt rannten beide Kinder im Zimmer
hin und her, fanden den Wasserhahn, das Tropfgestell, zwei Türen,
hinter denen auch noch was sein musste... Zum Beispiel weitere
Patienten, denen man lauter Fragen stellen konnte, oder einen langen
Gang, in dem man prima rennen konnte. Ich hatte deshalb keine Zeit
schlapp zu machen.
Nachdem ich mich eine Weile gefragt
hatte, wo ich Windeln, was zum Anziehen für die Kinder und etwas zum
Frühstücken herbekomme (die Kinder hatten ja noch nicht mal
gefrühstückt), kam eine Frau herein, die mir zu verstehen gab, dass
sie nur für uns zuständig sei. Ich müsse ihr nur sagen, was ich
brauche.
Die Kirche hatte von dem Unglück
gehört und uns diese Frau geschickt, deren Namen ich leider nicht
mehr weiß. Sie hat uns aus der Kleiderkammer der Kirche drei Säcke
Kleidung besorgt, aus denen ich zumindest die Kinder einkleiden
konnte. Außerdem gab es Frühstück, Kekse, was zu trinken und
Windeln. Wir waren also erst mal versorgt.
Zwischendurch kam noch ein Notarzt, der
besorgt fragte, wie lange wir im Wasser waren. Ich sagte, dass
niemand im Wasser war, wir wären gesund. Das konnte er gar nicht
glauben.
Thomas und ich konnten uns zum Glück
zwischendurch verständigen, da er ja die Telefone gerettet hatte.
Meins hatte ein bischen Wasser abbekommen, weshalb es ein paar Zicken
machte, aber telefonieren funktionierte.
Während der Mittagspause der
Küstenwache kam Thomas kurz in der Notaufnahme vorbei und nahm sich
auch noch eine Hose und ein paar Schuhe aus dem Kirchenfundus. Das
Verhör hatte bis dahin in nassen Sachen stattgefunden... Er ließ
sich dann gleich wieder zum Hafen fahren. Das Bergungsunternehmen
sollte ihn zum Schiff bringen, um eventuell die Reisepässe und die
Schiffspapiere zu bergen.
Der Fahrer hatte uns schließlich ein
Hotelzimmer besorgt, wohin er uns brachte. Ich wusste nicht wo wir
waren und selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte nicht zum Hafen
gehen können, da meine Hose und die Stiefel nass waren. Außerdem
wäre das zu anstrengend für die Kinder gewesen. Also blieben wir
drei den ganzen ersten Tag im Hotelzimmer. Mathis und Emma spielten
mit einem Windelpaket Fußball und später mit den geretteten iPads
bis die Akkus leer waren. Ich lag derweil unter dieser dünnen
italienischen Bettdecke, fror und wartete darauf, das meine Klamotten
trocken wurden. (Später habe ich mir die Fernbedienung für die
Klimaanlage besorgt. Damit konnte man auch leidlich heizen.)
Dann rief Thomas an. Er hatte alle
Pässe und seine Kreditkarten trocken aus dem Schiff holen können.
Die waren in seiner Jacke, die in einer Achterkabine am Haken hing.
Da die Bodenbretter aufgeschwommen waren und die Tür blockierten,
musste er das Oberlicht einschlagen, um die Jacke herausziehen zu
können. (Meine Kreditkarten wurden am nächsten Tag geborgen:)
Das Schiff ist nur bis zur Deckskante
untergegangen, weil es auf der Sandbank auflag. Der Kiel war
abgebrochen und der Schwell schob es nun in aufrechter Position über
den Sand. Durch die ausgebrochenen Löcher der Kielbolzen drang das
Wasser und eine große Menge Sand ein. Das Bergungsunternehmen konnte
das Schiff für die Nacht stabilisieren.
Der Stand der Dinge war also: Wir waren
alle gesund und zusammen. Die Kommunikation stand, da Thomas die
Telefone gerettet hatte. Alle Pässe waren da, so dass wir mit der
Ausreise keine Probleme hätten. Zumindest Thomas' Kreditkarten waren
da, so dass wir Geld hatten, um Essen, Trinken, Hotel, Auto, Zug,
Flugzeug zu bezahlen. Die iPads funktionierten, womit Emma und Mathis
sich beschäftigen konnten, solange deren Spielzeug noch unter Wasser
war. Alles war soweit gut, wir waren in Sicherheit.
Ich lag also auf dem Bett und dachte
darüber nach wie es weitergeht. Immer wenn ich dabei an den Punkt
kam, die Kinder auf eine normale Schule schicken zu müssen, kamen
die Überlegungen ins Stocken. „In eine normale Schule? Wo sie zu
Ameisen gemacht werden? Wo wir nicht mehr mitzureden haben wie unsere
Kinder erzogen werden? Wo ich gerade die perfekte Schule gefunden
habe? Nein, wirklich nicht. (
www.deutsche-fernschule.de)
In einem Haus wohnen, das einen örtlich festnagelt? Weiterhin einem
9-5-Job nachgehen? Oder: Mit was soll ich mich Selbstständig machen?
Und das alles, obwohl wir die Möglichkeit haben etwas spannendes zu
erleben? Nee, nicht wirklich.“
Wie auch immer, am Ende des Tages stand
jedenfalls fest, dass wir über diesen Schock hinwegkommen müssen,
weil wir auf jeden Fall unseren ursprünglichen Plan weiter verfolgen
werden.
Der Plan ist ab Juli 2016 auf einem
Segelschiff zu leben und die Welt zu umsegeln.
Nachtrag: Wegen Totalschaden hat die
Versicherung uns schon nach 3 Monaten den gesamten
Versicherungsbetrag erstattet und das Wrack verkauft.
Sechs Monate nach dem Unfall haben wir
unsere Elli gefunden.